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GABRIELE VON ENDE-PICHLER
„Sommerlandschaft“

Lichtungen - Zu den abstrakten Bildern von Gabriele von Ende-Pichler (Auszug)

Manche mögen in Gabriele von Ende-Pichlers Gemälden „Undurchdringliches Gebüsch“ oder „klirrende Eislandschaften“ entdecken, manche mögen sich an „Unterwasserwelten“ oder an Seerosenteiche“ erinnern oder „rote Lava-Ströme“ ausmachen. … Die großformatigen abstrakten Bilder der Künstlerin aus den letzten drei Jahren ermöglichen es ihrem Gegenüber frei zu assoziieren. Eindeutig entschlüsseln freilich lassen sie sich nicht. Die Bilder entziehen sich einer konkreten Benennbarkeit. Genau betrachtet nämlich haben wir es mit einer Malerei zu tun, die nichts abbildet, schildert oder erzählt. Es ist eine Malerei, die nichts sein will als Malerei und gerade dadurch Freiräume für die Phantasie und das Denken eröffnet, wie wir es in der Alltagswelt kaum kennen, denn dort muss alles Deutung und Funktion haben. Der Sinn und Zweck der Malerei von Gabriele von Ende-Pichler-Pichler ist es gerade sinnlich und doch bestimmt anzuregen, übliche Denkmuster zu verlassen und sich in den Bildräumen treiben zu lassen.

Mit großem sinnlichen Vergnügen und wacher Intuition bringt die Künstlerin Farben auf die Leinwand, vermischt sie, lasiert oder verdichtet, überlagert, formt diese zu Strukturen, gewährt ihnen freien Lauf und kontrolliert doch wohldosiert. Knalliges Orangerot und Magenta füllt lasierend und opak eine ganze Bildfläche. Je nach Lichteinfall leuchten glänzende Stellen auf. In einem anderen Bild entpuppen sich dunkle Stellen in einer amorphen Farbmodulation aus dunkelvioletten und erdfarbigen Tönen plötzlich als goldene Reflexe. Hinter türkis-grün-blauen nebulosen Farbfeldern eröffnet sich in einem anderen Bild an einer kleinen Stelle ein Durchblick in einen weit hinten liegenden Bildraum mit kleinsten Lichtpunkten.

Wegweiser in diese Bildwelten in Form von Titeln oder Gegenständlichkeit gibt es nicht. Nichts ist vorformuliert. Deshalb ist schon eine bewusste Entscheidung des Betrachters gefragt, ob er allein auf der schönen Oberfläche der Bilder verharren will oder ob er sich darauf einlässt, vertrautes Terrain zu verlassen und sich ganz in die Bilder einzufühlen und damit unbekanntes Neuland zu betreten.

Die Bilder von Gabriele von Ende-Pichlers sind Einladungen an den Betrachter in ihnen umherzuwandern, in tiefere Schichten vorzudringen, an Lichtungen zu verweilen. Auf seinen Wanderungen durch die vielschichtigen Bilder wird der Betrachter allerdings merken, dass er natürlich ausgestattet ist mit einem Gepäck, das ihm hilft, Haltepunkte in diesem Ungewissen zu setzen. Es sind seine eigenen Erfahrungen und seine Erinnerungen an die reale Welt, die ihn stets begleiten. Die Formen und Farben können dann auf der Wanderung durch die Strukturen der Bildräume in Analogie zu verschiedenen menschlichen Zuständen gelesen werden und dadurch auch auf die eigene Lebenswirklichkeit zurückbezogen werden.

Momente der Verdichtung, des Aufhellens, der Überlagerung, der Klarheit oder des Chaos kennen wir alle im realen Leben bestens. Aber auch schon der erste Schritt in diese Bildwelten, in denen nichts vorformuliert ist, ermöglicht eine Grunderfahrung unserer Gegenwart, unseres Lebens: die Erfahrung des Ungewissen. Denn so viel heute auch möglich ist und so viel wir doch auch wissen, eines ist klar: Antworten auf existentielle Grundfragen ermöglichen Daten und Fakten nicht. Eher noch verhindert diese scheinbare Sicherheit des Faktenwissens zu den individuellen und existentiellen Fragen zu kommen. Dem italienischen Theoretiker Sandro Boccola zufolge hat nun Kunst gerade die Fähigkeit, metaphorisch der Grunderfahrung des Ungewissen wahrnehmbare Gestalt zu verleihen. Es geht also nicht mehr um das eine absolute Bild, die eine Wahrheit, sondern um Metaphern der Vielgestaltigkeit.

Gabriele von Ende-Pichler sucht mit ihren Bildern ein konkretes Gegenüber. Als Künstlerin bietet sie sinnliche Strukturen und Bildräume, die sie in Analogie zum Leben sieht. Vor allem ist es die große Bedeutung der Hintergründe in ihren Bildern, die sich in dichten Farbstrukturen erahnen lassen oder zwischen transluzenten Schichten durchleuchten. Die Hintergründe, sagt sie, haben sie schon immer fasziniert – bei den Menschen wie bei den Bildwerken. Umso wichtiger sind da die Lichtungen inmitten der dichten Strukturen, die immer wieder zum Innehalten einladen und auch Hoffnung vermitteln – und damit auch immer ein Stück Gewissheit, dass stets Licht ins Dunkel kommen wird und das Dunkle nicht nur das Ungewisse ist, sondern auch die Kraft, aus der sich Neues entwickelt.

Dr. Elisabeth Hartung

Stand: 21.03.2023